Beethoven: Fidelio – Referenzaufnahme

Nur eine Oper hat Beethoven komponiert: Fidelio. In ihrer ursprünglichen Fassung hieß die Oper noch „Leonore“ (daher manchmal die fälschliche Meinung, Beethoven habe zwei Opern komponiert, Fidelio und Leonore), doch Beethoven arbeitete noch lange Jahre nach der Uraufführung (1805) an der Oper, bis 1814 endlich die letzte Fassung fertig war, die man in der Regel auf den heutigen Opernbühnen und -aufnahmen hören kann. Man kann sie leicht von der Urform, der „Leonore“ unterscheiden, weil der endgültige Fidelio nur zwei Akte umfasst, die Leonore hingegen aus drei Akten bestand. Musikhistorisch einordnen muss man Beethovens Werk als sogenannte „Nummernoper“, d.h. als Oper, deren abgeschlossene musikalische Teile (Arien, Duette, Terzette etc.) durch Rezitative, also gesprochene (nicht gesungene) Textpassagen, verbunden sind. Eine Oper wie Beethovens Fidelio ist in ihrer über 200-jährigen Geschichte natürlich unzählige Male aufgeführt und aufgenommen worden. wir stellen zwei Aufnahmen des Fidelio vor, die als Referenzaufnahmen gelten können.


Fidelio – Inhaltsangabe (sehr kurz)

Ein paar einführende Worte zum Inhalt von Fidelio, bevor wir die Referenzaufnahmen näher beleuchten.

Vorgeschichte zur Oper ist, dass der junge Florestan unrechtmäßig inhaftiert wurde und seit langer Zeit nun schon im Kerker vor sich hinschmoren muss. Der Kerkermeister heißt Rocco und nimmt eines Tages einen Gehilfen bei sich auf: Fidelio. Dieser Fidelio ist jedoch in Wahrheit Leonore, die Ehefrau des inhaftierten Florestan; sie hat sich als Mann verkleidet, um sich so das Vertrauen des Kerkermeisters Rocco zu erschleichen und letztlich ihren Ehemann zu befreien. Doch der Plan geht nicht recht auf, da sich die junge Tochter des Kerkermeisters, Marzelline mit Namen, in den eleganten Fidelio (alias Leonore) verliebt.

Hier setzt die Opernhandlung im ersten Akt ein. Jaquino, der Verlobte von Marzelline, ist betrübt: Seit einiger Zeit schenkt ihm Marzelline nicht mehr die gewohnte Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit (sie hat sich inzwischen ja in Fidelio verliebt!) – Duett „Jetzt, Schätzchen, jetzt sind wir allein.“ Marzelline kann nur an Fidelio denken (Arie: „O wär ich schon mit Dir vereint“). Rocco und ‚Fidelio‘ kommen hinzu (Quartett: „Mir ist so wunderbar“). Rocco erinnert Marzelline daran, dass man nicht allein von Liebe leben kann (Arie: „Hat man nicht auch Gold beineben“). Fidelio bittet Rocco, dass er (sie) ihm bei der Arbeit im tiefsten Kerker (wo Florestan gefangen ist) helfen zu dürfen; Marzelline will Fidelio davon abbringen, weil sie Angst um ihn hat (Terzett: „Hab immer Mut“). Nun tritt Pizarro auf, der Gouverneur des Gefängnisses (der für die unrechtmäßige Verhaftung Florestans verantwortlich ist). Er sagt Rocco, dass der Minister das Gefängnis inspizieren werde, und unter keinen Umständen Florestan entdecken dürfe (Arie: „Ha, welch ein Augenblick“); er bietet Rocco Geld an, damit dieser Florestan ermorde, doch Rocco lehnt ab (Duett: „Jetzt, Alter, jetzt hat es Eile“). Leonore/Fidelio hat die beiden beobachtet, jedoch nicht verstehen können, was sie gesprochen haben (Arie: „Abscheulicher, wo eilst Du hin?“). Sie bittet Rocco (in der Hoffnung, so Florestan zu finden), alle Gefangenen im Hof frische Luft schnappen zu lassen, was dieser schließlich bewilligt (Chor des Gefangenen: „O welche Lust“). Inzwischen hat Pizarro bewilligt, dass Fidelio Rocco in die tiefen Verliese begleiten dürfe; gleichzeitig kommt es zu einem Streit zwischen Pizarro und Rocco über den Spaziergang der Gefangenen, die nun wieder in ihre Zellen getrieben werden.

Der zweite Akt von Fidelio beginnt mit einer düsteren Einführung und der verzweifelten Arie Florestans „Welch Dunkel hier!“ ‚Fidelio‘ (Leonore) und Rocco gehen hinunter in die Verliese. Sie gibt dem Gefangenen Brot und Wein und erkennt, dass es sich tatsächlich um ihren Ehemann Florestan handelt; er hingegen erkennt sie nicht. Pizarro kommt hinzu und will Florestan erdolchen; ‚Fidelio‘ (Leonore) schmeißt sich jedoch gerade noch rechtzeitig zwischen die beiden und schafft es, mit einer Pistole Pizarro von seiner Mordtat abzubringen: Genau rechtzeitig, denn in dieser Sekunde verkündet eine Fanfare das Eintreffen des Ministers. Rocco befiehlt, dass man den Gouverneur Pizarro nach oben begleite; dieser erkennt, dass das Spiel für ihn aus ist, schwört aber noch im Fortgehen bittere Rache („Es schlägt der Rache Stunde“). Leonore legt ihre Verkleidung als Fidelio ab, gibt sich ihrem Florestan zu erkennen und beide liegen sich vor Freude in den Armen (Duett: „O namenlose Freude“). Der Minister, Don Fernando, kommt hinzu, verkündet, dass die tyrannischen Tage des Don Pizarro gezählt seien und befiehlt, Florestan sofort freizulassen. Alle sind froh (Finale: „Heil sei dem Tag“)… nur Marzelline nicht, die schockiert erkennen muss, dass ihr Geliebter Fidelio in Wahrheit eine verheiratete Frau gewesen ist…

Tatsächlich ist die Rolle der Marzelline, sowie die mit ihr verbundene Handlung, ein großer Schwachpunkt der Oper. Die ersten vier Nummern der Oper widmen sich ausschließlich diesem Handlungsstrang, der ab der 5. Nummer eigentlich völlig in Bedeutungslosigkeit versinkt und hinter den Florestan-Leonore-Plot zurücktritt. Die Marzelline-Nummern sind klar erkennbar als heiterer Gegenpol zum düsteren Gefängnis-Plot gedacht, sozusagen als eine Art „Comic Relief“. Aus heutiger Sicht sind diese Nummern aber oftmals etwas störend, so musikalisch schön sie auch sein mögen.

Beethoven, Fidelio: Referenzaufnahme 1: Bernstein (1978)

fidelio-bernstein-referenzaufnahmeNun, zunächst einmal sei hier die Besetzungsliste dieser Aufnahme angeführt – dann wird einem wohl recht schnell klar, wieso Bernsteins Fidelio Referenzaufnahme genannt werden muss: Den Florestan singt René Kollo, seine Ehefrau Leonore (in der Verkleidung als ‚Fidelio‘) wird gesungen von Gundula Janowitz; in diese verliebt ist Marzelline, die von Lucia Popp gesungen wird; Adolf Dallapozza, v.a. durch seine Operettenaufnahmen bekannt, gibt einen leicht-beschwingten und eifersüchtig-eingeschnappten Jaquino; Manfred Jungwirth ist Rocco der Kerkermeister; dessen Dienstherr Pizarro wird von Hans Sotin gesungen und den Minister Don Fernando gibt Dietrich Fischer-Dieskau. Diese Liste liest sich wie ein Who-is-who der Sänger der 1970er Jahre. Wenn man jetzt noch hinzusetzt, dass die hier genannten Sängerinnen und Sänger auf dieser Fidelio-Einspielung alle in Topform singen, und dass Bernstein die Wiener Philharmoniker bestens im Griff hat, dann muss nicht mehr viel gesagt werden, um zu verdeutlichen, dass diese Aufnahme eine wahre Referenzaufnahme ist. Vor dem Schlusschor fügt Bernstein übrigens noch die sogenannte „Leonore-Ouvertüre“ ein (op. 72a), was die Aufnahme insgesamt abrundet.

Hier geht es zur Referenz von Beethovens Fidelio mit Bernstein.

Beethoven, Fidelio: Referenzaufnahme 2: Furtwängler (1953)

fidelio-furtwaengler-referenzaufnahmeDa wir versuchen, die Referenzaufnahmen auch möglichst zu streuen, sei an dieser Stelle eine ältere Aufnahme des Fidelio erwähnt, die als Gegenpol zu Bernstein gelten kann, nämlich eine Studio-Aufnahme von Wilhelm Furtwängler aus dem Jahre 1953; Furtwängler dirigiert ebenfalls die Wiener Philharmoniker, ansonsten haben die beiden Referenzaufnahmen jedoch nicht viel miteinander gemein. Während bei Bernstein die Blechbläser zu Beginn des 2. Aktes das düstere Schicksal noch bis in die letzten Reihen des Opernhauses schmettern, hält Furtwängler seine Wiener fest am Zügel: Sie dürfen nur einen Hauch von Schwarz in die Ouvertüre malen, der eher an Verzweiflung als an laute Wut über die Ungerechtigkeit erinnert. Was diese wahllos herausgegriffene Stelle zeigen soll: In vielerlei Hinsicht ist Furtwängler subtiler als sein amerikanischer Kollege. Seine Sänger, darunter ebenfalls große Namen wie Martha Mödl als Leonore/Fidelio, Wolfgang Windgassen als Florestan und Gottlob Frick als Rocco, leisten großartige Arbeit und sind v.a. im Quartett „Mir ist so wunderbar“ derartig diszipliniert, dass man meint, die vier Sängerinnen und Sänger würden nicht parallel sondern nacheinander singen: So etwas ist einer der seltenen Glücksfälle der Oper. In einem Satz: Furtwänglers Fidelio ist nicht nur als Kontrast zu Bernstein eine absolute Referenzaufnahme, sondern auch in jeder anderen Hinsicht eine Pflichtanschaffung für jede Klassiksammlung!

Hier geht es zur Referenz-Aufnahme von Beethovens Fidelio mit Furtwängler.


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