Young Euro Classic: Klavierfestival 2012, Rezension

Zur Zeit findet im Berliner Konzerthaus das Festival Young Euro Classic statt, das junge Musiker präsentiert. Als Festival im Festvial gibt es auch dieses Jahr wie in den Jahren zuvor das Young Euro Classic Klavierfestival. Fünf junge Pianistinnen und Pianisten dürfen an einem Sonntag im Kleinen und im Großen Saal des Konzerthauses ihr Können unter Beweis stellen. Mit einem günstigen Kombiticket ließen sich alle 5 Konzerte besuchen – ein Besuch im Konzerthaus, der sich gelohnt hat.


Avan Yu (China/Kanada) – Konzert Nr. 1, 12 Uhr

Den Auftakt machte der chinesich-stämmige und in Kanada ausgebildete Pianist Avan Yu, der erst vor wenigen Tagen die Sydney International Piano Competition gewonnen hatte. In einer kurzen Ansprache vor Beginn des Konzertes wies Dieter Rexroth, der künstlerische Leiter von Young Euro Classic, darauf hin, dass Avan Yu am Vortag erst aus Australien zurückgekehrt sei und am Folgetag schon wieder dorthin zurückfliegen müsse, weshalb es zu einer kleinen Programmänderung kam: Die angekündige Bach-Partita Nr. 5 G-Dur sowie die beiden Chopin-Werke Barcarolle Fis-Dur op. 60 und Ballade Nr. 4 f-Moll op. 52 entfielen und wurden ersetzt durch die Fantasie in C-Dur op. 17 von Robert Schumann.

Die auf dem Programm angekündigten Etüden von Claude Debussy blieben auf dem Programm und bildeten den Auftakt des Festivals. Avan Yus Debussy-Etüden waren von technischer Brillanz und facettenreicher Klangvielfalt. Auch den Humor der Etüden (besonders der ersten, an Czerny-Etüden erinnernden) konnte Avan Yu in seinem Spiel gekonnt transportieren.
Die Schumann-Fantasie bot einen gelungenen Gegensatz zu den kleinteiligen Etüden mit ihren spezifischen pianistischen Problemstellungen: Hier konnte Avan Yu unter Beweis stellen, dass er auch epische Musikstücke mühelos meistert. Makellos und klanglich herausragend riss die Fantasie das Publikum mit, das begeistert nach Zugaben verlangte.
Als Zugabe bot Avan Yu die Ungarische Rhapsodie Nr. 12 in cis-Moll von Franz Liszt an – Tastenlöwentum, dem er unmittelbar darauf die zart-melancholische Chopin-Etüde E-Dur op.10 Nr.3 folgen ließ. Ein Pianist, von dem man in Zukunft sicherlich noch hören wird.

Zsolt Bognár (USA/Ungarn) – Konzert Nr. 2, 14 Uhr

Das zweite Konzert begann ebenfalls mit einer Programmänderung, wenn diese auch nicht eigens angekündigt wurde. Eigentlich hätte der junge Zsolt Bognár laut Programm mit Liszts „Dante-Sonate“ beginnen sollen, doch stattdessen erklangen nach dem Auftrittsapplaus die ersten Takte von Schumanns Kinderszenen op. 15. Das Lyrische liegt Bognár ganz offensichtlich sehr, denn so farbenprächtig, facettenreich und auch unaufgeregt kamen die Kinderszenen daher, dass Bognár keinen Vergleich mit den ganz großen Schumann-Interpreten wie Kempff oder Horowitz scheuen muss.
Er setzt sein Programm dann mit einem Fingerbrecher par excellence fort: Liszts Scherzo und Marsch. Dieses Stück ist leider viel zu selten auf den Konzertbühnen zu hören und wird auch viel zu selten aufgenommen. Bognár stellte mit seiner gekonnten Interpretation, die die schwierigen technischen Hürden bravourös bewältigte, unter Beweis, dass dieses Stück von Franz Liszt unbedingt häufiger aufgeführt werden sollte: Das Zerfranste im Scherzo macht es gerade so munter und lebhaft, der Marsch nimmt diese Stimmung auf und wirkt äußerst heiter.

Der Große Saal im Konzerthaus zum Young Euro Classic Klavierfestival (05.08.2012)

Nun spielte Bognár aus Beethovens Klaviersonaten die op. 54 in F-Dur, die immer ein wenig im Schatten ihrer großen Nachbarn, der Waldstein-Sonate op. 53 und der Appassionata op. 57 steht. Doch auch hier zeigte Bognár wieder, dass op. 54 mit seinem brillianten ersten und seinem rasch-eilenden zweiten Satz durchaus keine „unwichtige“ Beethoven-Sonate ist, sondern ihr Recht auf den Konzertbühnen mühelos geltend machen kann.
Abschließend wartete auf Bognár dann aber noch die größte Herausforderung dieses Konzertes, nämlich die sog. Dante-Sonate von Franz Liszt, die dieser 1858 komponierte – „après une lecture de Dante“, „nach einer Lektüre von Dante“, wie es im Titel heißt. Das Werk gilt gemeinhin als unspielbar. Bognár geriet nun auch ein- oder zweimal in Nöte, musste in einem Lauf ein bisschen unzulässig springen und griff hier und da daneben. Aber noch einmal: Es handelt sich hier um das (neben der Spanischen Rhapsodie) vielleicht schwerste Werk des Klaviermagiers Franz Liszt, es überhaupt spielen zu können setzt einen bereits von der großen Masse der Pianisten ab. Trotz kleiner Fehler, konnte Bognárs Dante-Sonate voll und ganz überzeugen, von den Untiefen des Infernos bis hin zu den seligen Klängen des Paradieses zeichnete Bognár alle Facetten dieses komplexen Werkes genau nach; sein lyrischer Ton, der seinen Schumann so besonders machte, half ihm auch bei diesem Liszt-Ungetüm weiter. Die Bravo-Rufe am Ende: Absolut verdient.

Yejin Gil (Südkorea) – Konzert Nr. 3, 16 Uhr

Das dritte Konzert des Tages sollte das letzte im Kleinen Saal des Konzerthauses sein. Auch dieses Konzert war ausverkauft. Die junge Yejin Gil, eine in Berlin lebende Südkoreanerin, hatte mit den Symphonischen Etüden den dritten Schumann des Tages auf dem Programm, sowie den dritten Liszt (Liszts Bach-Transkription von BMW 543); erstmalig hingegen zu hören war von Gil an diesem Tag ein zeitgenössisches Werk, nämlich die Sechs Klavieretüden (2003) ihrer Landsmännin Un-suk Chin, die wie Gil in Berlin lebt und daher im Publikum anwesend war.
Doch den Auftakt machte die Bach-Transkription von Liszt. Bemerkenswert sparsam benutzte Gil hierbei das Pedal und betonte damit den Bach im Liszt, anstatt, wie viele andere Pianisten, den Bach mit Liszt zu überdonnern. Gleichzeitig wirkte Gil bei diesem Auftakt noch nicht ganz bei der Sache, v.a. in der Fuge verlor sich das Thema dann doch gelegentlich ein wenig.
Ihre Darbietung von Unsuks Etüden, schwierige Klaviermusik des 20. Jahrhunderts, hingegen war absolut atemberaubend. Die virtuosen Stücke führen den Interpreten an technische Grenzen, doch Gil meisterte mühelos und konzentriert diese Herausforderung. Die mit „Grains“, „Toccata“ und „Scales“ überschriebenen Stücke rissen das Publikum sofort mit und bescherten der Pianistin sowie der auf die Bühne gekommenen Komponistin lang anhaltenden, wohl verdienten Beifall. Wer sich selber von der Qualität der Komposition und der Interpretin überzeugen möchte, kann das auf YouTube machen, wo eine Aufnahme von Yejin Gils Interpretation der Etüden bereitsteht:

Den Abschluss dieses Konzertes bildeten die Symphonischen Etüden von Schumann. War Gil bei dem Liszt noch nicht ganz angekommen, hatte sie über Unsuk den Weg in das Konzert gefunden und konnte nun mit Schumann glänzen. Niemals tappte Gil in die Falle, diese „Etüden“ (eigentlich ein Thema mit Variationen) ‚herunterzudonnern‘, was viele Interpreten (möglicherweise verleitet vom Titel ‚Symphonisch‘) gerne tun. Ihre Etüden waren exakt, sauber und sehr musikalisch; die lyrische Klangfarbe und -vielfalt erinnerte an den zuvor von Bognár gehörten Schumann. Es dürfte nicht verwundern, dass das Publikum nach diesem Glanzstück Zugaben forderte, die Gil bereitwillig gab, darunter eine kleine und ganz bescheidene, sehr schön gespielte Scarlatti-Sonate. Ein schönes Konzert!

Benjamin Engeli (Schweiz) – Konzert Nr. 4, 18 Uhr

Gegen Abend hin verlegte sich das Festival nun vom Kleinen in den Großen Saal, den der Besucherandrang war für die letzten beiden Konzerte des Festivals sehr groß. Zunächst spielte der Schweizer Benjamin Engeli (*1978) ein Programm, das sich rund um Franz Schubert drehte. Den Auftakt machten die „Fünf Variationen über ein Thema von Schubert“ von Helmut Lachenmann, die dieser als 22-jähriger komponierte. Ein Stück, das noch sehr viel tonaler klingt, als vieles was Lachenmann seitdem komponierte. Engelis Lachenmann nahm die musikalische Vielfalt des Stückes, seine poetische Qualität hier, seinen toccatenhaft schlagenden Klang dort, gekonnt auf. Verwirrend war nur, dass Engeli direkt im Anschluss an Lachenmann, also ohne Pause, das Schubert-Impromptu Ges-Dur anfügte, ganz so als ob Lachenmanns Schubert-Variationen (über den cis-Moll Walzer) und das Impromptu mit seiner Endlosmelodie irgendetwas gemeinsam hätten – haben sie aber nicht! Nun, ob dies eine Extravaganz des Künstlers war oder einen tieferen Sinn barg, der dem Schreiber dieser Zeilen verborgen geblieben ist, sei dahingestellt… Tatsache ist, dass auch das zweite zeitgenössische Stück in Engelis Programm begeistern konnte: Ein Zyklus von 6 Bagatellen für Klavier des Würzburger Komponisten Tobias PM Schneid (*1963) – ebenfalls im Saal anwesend. Die Bagatellen waren eine Deutsche Erstaufführung und trugen Titel wie „Spaziergang mit Beckett und Bernhard“ oder „Polytonal Loops“. Die in diesen Titeln angedeutete musikalische Bandbreite setzte Engeli gekonnt um. Die rhythmisch zum Teil sehr komplexen, nicht selten jazzigen Passagen meisterte der Pianist mühelos und erntete vom Publikum tosenden Applaus, der sich verstärkte, als der Komponist sich zu ihm auf die Bühne gesellte.
Abschließend ertönte wieder ein Schubert, die c-Moll-Sonate D 958, die Schubert in seinem Todesjahr 1828 komponierte. Ähnlich wie die früher am Tag erklungene Beethoven-Sonate (op. 54) steht auch Schuberts D.958 etwas im Schatten der direkten Nachbarn, den Schubert Sonaten D.959 und D.960 (die große B-Dur-Sonate). Dennoch zeigte Engeli, dass auch diese Sonate unbedingt wieder mehr gespielt werden muss. Wenn es eine Darbietung an dem Abend gegeben hat, die das Prädikat „meisterhaft“ verdient hätte, dann Engelis Schubert. So klar erschienen die Strukturen, so perlend ertönten die Läufe, so singend erklangen die Melodien, so stimmig die Dynamik, dass man die Darbietung nicht anders als „perfekt“ bezeichnen muss. Bravo! Das sah das Publikum ähnlich und verlangte nach Zugaben, die Engeli bereitwillig gab:
Zunächst spielte er Skriabins Nocturne op. 9 No. 2 für linke Hand, bevor er am Ende wieder zu Schubert zurückkehrte und das Moment musicaux f-Moll spielte, ein an und für sich leichtes Klavierstück, bei dem er sich jedoch bedauerlicherweise im Schlussteil ordentlich vergriff und somit stirnrunzelnd unter dem Schlussapplaus von der Bühne ging. Dennoch: Dieses Konzert war beeindruckend und auch von Engeli wird man sicherlich noch mehr hören in der Zukunft.

Eine CD mit Beethoven-Sonaten von Benjamin Engeli (op. 22, 78, 106) liegt bereits vor.

Plamena Mangova (Bulgarien) – Konzert Nr. 5, 20 Uhr

Eintrittskarte zum Konzert von Plamena Mangova am 5.8.2012

Das fünfte und letzte Konzert des Abends fand wieder im Großen Saal statt, der bis auf den letzten Platz gefüllt war. Die bulgarische Pianistin Plamena Mangova (*1980) präsentierte mit Beethoven, Chopin und Liszt ein klassisches Virtuosen-Programm – und, um es gleich vorwegzunehmen, Virtuosität ist eindeutig Mangovas Stärke. Sie meisterte die schwierigen Passagen des Mephisto-Walzers Nr. 1 von Liszt mit einer Mühelosigkeit, die einem den Atem verschlug. Auch das Petrarca-Sonett 104 von Liszt spielte sie so ohne Anstrengung, als handele es sich um ‚Hänschen klein‘. Keine Frage, Mangova ist eine brilliante Virtuosin und konnte als solche die Masse des Publikums verzaubern. Doch schaut man einmal genau hin, an welchen Stellen das Berliner Publikum die junge Pianistin mit „Bravo“-Rufen überschüttete, wird rasch klar, dass sie nur mit Virtuosentum wirklich begeistern konnte, ihre leise-melancholischen Stücke, wie etwa die Chopin-Nocturne Nr. 20 op. posth. in cis-Moll, ernteten nur durchschnittlichen Beifall.
Denn ihr Spiel weist eine Exzentrik auf, die zum Teil nur schwer zu ertragen ist. Sie phrasiert scheinbar nach Gutdünken, betont hier mal eine Linie gar nicht, um sie bei der ersten Wiederholung zu betonen, als gäbe es nichts Wichtigeres als diese Linie (etwa die fallenden Viertelnoten im mit „sempre pp“ überschriebenen Mittelteil der g-Moll-Ballade op.23 von Chopin) und ihr Rubato (von ital. rubare = rauben) ist nur in dem Sinne zu verstehen, dass es einem den Nerv raubt, denn sie macht davon so unmäßig starken Gebrauch, dass man ihr gerne ein Metronom schenken möchte; ferner ist ihr Pedal-Gebrauch nicht selten übertrieben stark, so dass einige Passagen (man nehme nur die schlichte Unisono-Linie mit der die Chopin-Ballade beginnt) nach Brei klingen. Ihr wahre Stärke konnte sie dann am Schluss mit Ginasteras Danzas Argentinas op. 2 beweisen, besonders mit dem Schlussstück, dem „Gaucho matrero“, also dem „arroganten Gaucho“; hier bewies Mangova tatsächlich Humor in ihrem Spiel (den sie zuvor in den Beethoven-Variationen über Salieris „La stessa, la stessissima“ hatte vermissen lassen) und konnte mit der stark differenzierten Dynamik doch noch einmal punkten.
Sie schloss den Abend mit der Etüde Tableau op. 33,8 von Rachmaninoff ab, einem mit „Grave“ überschriebenem Werk, in dem sich der Pianist mal so richtig austoben kann, denn fast in jedem Takt hat Rachmaninoff fortissimo notiert. Unerklärlicherweise geht Mangova hier, ausgerechnet hier, in den herabstürzenden Oktaven (mf – cresc. ff) plötzlich in ein zartes pianissimo über, als würde sie op. 33,7 spielen, nicht 33,8.
Von Plamena Mangova liegen für interessierte Hörerinnen und Hörer u.a. eine CD mit Schostakowitsch Klaviersonaten (Nr.2 op.61) und den Préludes op.34 vor, sowie eine Beethoven-Aufnahme mit den Variationen WoO 73, der Appassionata und den Bagatellen op.126.


Trotz des nicht ganz überzeugenden letzten Konzertes des Tages, war das Klavierfestival insgesamt ein absoluter Erfolg und man kann sich bereits jetzt auf das Young Euro Classics Klavierfestival 2013 freuen!

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