Referenzaufnahme: Symphonie fantastique (Berlioz)

Hector Berlioz (1803-1869) Symphonie fantastique, Episode de la vie d’un artiste op. 14 (1830) ist zweifellos das berühmteste Werk des französischen Komponisten und eine der berühmtesten Sinfonien überhaupt. Berlioz selber nannte seine Sinfonie ein „musikalisches Drama“ und orientierte sich bei der Komposition an der üblichen Kompositionsstruktur klassischer Dramen (als Franzose hatte er hierbei sicherlich v.a. die klassischen französischen Tragöden Racine und Corneille im Sinn). Ein einzelnes, real existierendes Drama, das der Komposition zugeordnet ist, lässt sich nicht identifizieren. Die Szenenfolge ergibt also eher ein loses dramatisches Gefüge, das stark auf Impressionen beruht, als eine streng durchstrukturierte Handlungsabfolge. Die einzelnen Sätze lauten: „Träumereien, Leidenschaften“, „Ein Ball“, „Szene auf dem Lande“, „Der Gang zum Richtplatz“ und „Hexensabbath“. Die programmmusikalische Ausrichtung, die lose dramatische Abfolge, die gezielte Verwendung von Leitmotiven (die Berlioz ‚idée fixe‘ nennt) und die Erweiterung des Sinfonieorchesters weisen schon sehr weit voraus auf die romantische Musik Richard Wagners und Franz Liszts. Letzterer fertigte, von Berlioz Sinfonie stark beeindruckt, sogar eine Klaviertranskription des Werkes an (die erst vor kurzem erneut auf CD erschienen ist, in einer Aufnahme des französischen Pianisten Roger Muraro). Die Popularität des Werkes hat zur Folge, dass es zahlreiche Einspielungen der Symphonie Fantastique auf CD gibt. Wir stellen drei Aufnahmen vor, die als Referenzaufnahmen der Symphonie fantastique gelten können.

Berlioz Symphonie fantastique, Referenzaufnahme Nr. 1: Bernstein, 1963


Leonard Bernstein (1918-1990) beschrieb die Symphonie fantastique als „the first psychedelic symphony in history, the first musical description ever made of a trip, written […] a 130 years before The Beatles.“ Ein psychedelischer, drogeninduzierter Trip in andere Bewusstseinswelten also, wie es die Beatles mit ihrem „LSD-Song“ Lucy in the Sky with Diamonds beschrieben haben. Ganz gleich, ob man diese sehr starke Interpretation Bernsteins teilt oder nicht, die Aufnahme der Symphonie fantastique aus dem Jahr 1963 mit Bernstein und dem New York Philarmonic Orchestra ist eindeutig eine der wichtigsten Referenz-Aufnahmen des Werkes. Dass Bernsteins didaktischer Vortrag „Berlioz Takes A Trip“, aus dem das vorangestellte Zitat stammt, auf der CD enthalten ist, macht die Anschaffung umso empfehlenswerter. Durch hochmodernes 24 Bit-(Re-)Mastering ist der Klang der Aufnahme von 1963 so plastisch, als wäre die Aufnahme vor wenigen Jahren entstanden. Besonders zu empfehlen ist der letzte Satz der Sinfonie („Songe d’une nuit de sabbat“) in Bernsteins Einspielung. Vermutlich sah der Dirigent hier den Drogentrip des Komponisten verwirklicht. Hier tobt er sich aus; das hat man so lebendig und mitreißend noch nicht gehört, bei den Glockenschlägen bekommen heute noch viele Hörerinnen und Hörer eine richtige Gänsehaut und das „Dies Irae“ sollte man eindeutig nicht im Dunkeln hören…
Hier geht es zur Aufnahme von Leonard Bernstein.


Berlioz Symphonie fantastique, Referenz-Einspielung Nr. 2: Solti, 1974


Für viele Hörerinnen und Hörer gilt Georg Soltis (1912-1997) Einspielung von 1974 bis auf den heutigen Tag als eine der schönsten und perfektesten Aufnahmen der Symphonie fantastique. Manche (einzelne Stimmen) haben diese Aufzeichnung sogar als eine der großen Sternstunden in Soltis Schaffen bezeichnet. Auf jeden Fall ist das Chicago Symphony Orchestra ist ganz in seinem Element bei dieser Aufnahme. Solti dirigiert streng und beherrscht, ohne dass man das Gefühl erhält, er dirigiere ‚mit angezogener Handbremse‘. Die „Szenen auf dem Lande“ dirigiert er sogar spürbar lebhafter und munterer als Bernstein das tut (der Satz dauert in seiner Einspielung fast 45 Sekunden weniger). Im ersten Satz legt Solti starken Wert auf den Kontrast zwischen den zügigen Passagen und ihren lyrisch-getragenen Gegenstücken; das mag manchem zu deutlich vorkommen, trifft in unseren Augen den Charakter des ersten Satzes jedoch besonders gut, es sind eben „Träumereien und Leidenschaften“. Den Sinn fürs Dramatische lässt Solti auch nicht vermissen: Die Glockenschläge im letzten Satz wirken ähnlich berückend und bedrückend wie bei Bernstein. Kurzum: die Aufnahme, die zudem schon für kleines Geld zu haben ist, gehört in jede CD-Sammlung und ist als Referenz-CD klar zu empfehlen!
Hier geht es zur Aufnahme mit Georg Solti.

Berlioz Symphonie fantastique, Referenz Nr. 3: Järvi, 2000


Fangen wir an, das Offensichtliche festzuhalten: Klanglich ist dies bis auf den heutigen Tag die eindrucksvollste Aufnahme von Berlioz Symphonie fantastique, die auf dem Markt erhältlich ist. Wer also Besitzer einer modernen Stereoanlage ist und sich zudem als audiophil bezeichnen würde, für den ist Paavo Järvis (*1962) Multikanal-Aufnahme der Sinfonie von 2000 ein Muss. Die SACD bietet einen so brillanten Klang, dass man stellenweise das Gefühl bekommt, die Sinfonie zum ersten Mal zu hören (ich selber durfte Zeuge dieser Tatsache bei einer Audiovorführung in einem Laden der Firma Bose werden). Aber es wäre natürlich falsch, die Aufnahme auf ihre bloßen klanglichen Qualitäten zu reduzieren. Järvi und das Cincinnati Symphony Orchestra werden von Publikum und Fachpresse immer wieder für ihre Detailarbeit gelobt, Järvi selbst als ein „Mann des absoluten Zugriffs“ bezeichnet (KlassikHeute), der dem Orchester seinen Gestaltungswillen aufdrückt (im positiven Sinne). Bemängelt werden gelegentlich die zuweilen recht langsamen Tempi der Einspielung. Möglicherweise ist dies eine bloße Gewöhnungssache. Wer die Sinfonie überhaupt nicht kennt und mit Järvis Einspielung beginnt, dem kommt womöglich Bernstein als Formel-1-Fahrer vor… Auf jeden Fall ist dies eine bedeutende Aufnahme der Symphonie fantastique aus jüngerer Zeit, die als eine Referenz gelten kann.
Hier geht es zur Aufnahme mit Paavo Järvi.

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