Mozart Klaviersonaten: Referenzaufnahme

mozart-klaviersonatenDie 18 Klaviersonaten von W.A. Mozart führen im allgemeinen Konzertrepertoire ein eher stiefmütterliches Dasein. Einige Sonaten sind einem breiteren Publikum nur durch einzelne Sätze bekannt, wie etwa der 3. Satz der A-Dur-Sonate (KV 331), die als „Türkischer Marsch“ (Rondo alla turca) auch bei Klavierschülern beliebt ist; ebenso wie die C-Dur Sonate KV545, die Sonata Facile, ein fast unvermeidbares Übestück für heranwachsende Pianisten (wobei sie bei genauerer Betrachtung alles andere als „facile“ ist…). Einige andere Sonaten haben bzw. hatten prominente Fürsprecher, wie etwa die B-Dur-Sonate KV 333, die Vladimir Horowitz häufig spielte (und die auch der österreichische Pianist Ingolf Wunder auf seinem zweiten Album 300 aufnahm); die C-Dur-Sonate (KV 330), die so unterschiedliche Pianisten wie Glenn Gould, Fazil Say und Lang Lang einspielten; oder die D-Dur Sonate KV 311, die zuletzt der Chopin-Preisträger Rafał Blechacz auf seinem Wiener Klassik-Album einspielte – lebendig und munter. Trotz dieser fraglos prominenten Reihe von Pianisten, die sich gelegentlich oder systematisch mit Mozart auseinandersetzten, standen die Sonaten des Salzburgers immer ein wenig im Schatten der Klaviersonaten von Beethoven. Es gibt bis heute nur vergleichsweise wenige Gesamtaufnahmen der Mozart-Klaviersonaten und oft muss man sich die Aufnahmen aus verschiedenen Klavier-Recitals zusammensuchen, um sie vollständig ins Regal stellen zu können. Wir stellen daher an dieser Stelle zwei Gesamtaufnahmen der Klaviersonaten von Mozart vor, die als Referenzaufnahmen gelten können. Da wie gesagt nicht viele Gesamtaufnahmen um den Titel „Referenzaufnahme“ konkurrieren, ergänzen wir diese Auswahl daher im letzten Teil ausnahmsweise um einige Einzelaufnahmen, die besonders erwähnenswert sind und für Audiophile und Mozart-Liebhaber gleichermaßen empfehlenswert sind.


Mozart, Klaviersonaten (Gesamtaufnahme) – Referenzaufnahme Nr. 1: Maria João Pires


Vermutlich gibt es wenige zweite Meinungen zu dieser Aufnahme. Eine absolute Referenz wie sie im Bilderbuche steht. Die portugiesische Pianisten nahm die meisten dieser Sonaten in den 1980er Jahren auf und die Aufnahmen erlangten schnell den Status von echten Referenzaufnahmen. Denn klanglich sind die Aufnahmen ebenso brillant wie pianistisch. Mozart und Pires, das ist eine Liebeshochzeit. Hat man einmal gehört, wie sie die B-Dur Sonate KV 281 spielt, möchte man danach die ganzen energisch-drängenden Aufnahmen anderer Pianisten am liebsten vom CD-Regal in den Keller verbannen; Pires zeigt, dass der schwierig auszuführende Triller zu Beginn der Sonate eher eine Aufforderung zu einem Tanz ist, als zur Revolution – folglich tanzt der Rest der Sonate bei ihr so lebhaft und munter dahin wie zwei frisch Verliebte. Auch der Variationssatz der D-Dur Sonate (KV 284, die nach dem Widmungsträger, dem adligen Fagottisten Thaddäus von Dürnitz auch „Dürnitz-Sonate“ genannt wird) ist bei Pires ein Meisterwerk an Ausdruck. Über 17 Minuten lang sinnt Pires facettenreich mit Mozart zusammen dem träumerisch-tänzelnden Thema nach. Und auch in der letzten Sonate Mozarts, der D-Dur Sonate KV 576, zeigt Pires, dass weniger mehr ist. Während viele Pianisten diese Sonate wegen ihres eingehenden Fanfaren-Motivs im ersten Satz, der wie der Ruf zur Jagd klingt, als Jagd-Sonate interpretieren, d.h. ungestüm und wild, preift Pires die Jagdhunde zurück. Was bleibt ist eine subtile und feinsinnige Sozialstudie, wenn soviel Programmatik an dieser Stelle erlaubt ist; ihr erster Satz klingt eher wie ein beobachtender Blick im Ballsaal, als wie das Hetzen von Pferden und Hunden. Das bestätigt dann auch der 3. Satz („Allegretto“) bei Pires: Energiegeladen, ja; überbordend, nein.

Wie die meisten Mozartinterpreten macht Pires vom Dämpferpedal nur wenig Gebrauch. Ihr Klang ist sauber und fein, nie romantisch oder gar verkitscht. Die Aufnahme ist daher die unangefochtene Referenzaufnahme und gehört in jedes Plattenregal!

Hier geht es zur Referenzaufnahme der Mozart-Sonaten mit Maria João Pires.

Mozart, Klaviersonaten (Gesamtaufnahme) – Referenzaufnahme Nr. 2: Daniel Barenboim

Wer Barenboim als vorwiegend als Generalmusikdirektoren der Berliner Staatsoper Unter den Linden kennt (die sich zur Zeit wegen Renovierungsarbeiten im Exil im Schiller-Theater Berlin befindet) oder als launigen Interviewpartner, der gerne mal provoziert, der würde nicht sofort bei Mozart an Barenboim denken, eher schon an Wagner oder auch an Beethoven. Und dennoch liegt dem Ausnahmemusiker Mozart erstaunlich gut unter den Händen. Der Klang ist zart, leider gelegentlich mit einem etwas starken Hall aufgenommen, das war in den 80er und 90er Jahren deutlich üblicher als bei heutigen Aufnahmen, die in der Regel einen trockenen Studioklang bevorzugen. Müsste man ein einzelnes Epithet finden, dass Barenboims Mozart kennzeichnet, dann wäre es sicher: unaufgeregt. Denn sein Mozart klingt stets mühelos (jedoch nicht verspielt) und gleichmäßig (jedoch nicht langweilig). Selbst in den dramatischen Sonaten, wie der a-Moll Sonate bleibt Barenboim ganz stilsicher ein Meister, der weiß, wie weit man im Ausdruck bei Wiener Klassik gehen darf (eben nicht zu weit). Bei Barenboims Mozart ist es vor allem die genau getroffene Mitte, die so beeindruckt; kein Zuviel, kein Zuwenig kennzeichnet diesen Mozart.

Die Gesamtaufnahme fügt den Sonaten dankenswerterweise noch zahlreiche Variationen hinzu, so etwa die 10 Variationen KV 455 über Glucks „Unser dummer Pöbel meint“, die berühmten Variationen über „Ah, vous dirai-je Maman“, die 8 Variationen über „Come un agnello“ (KV 460) mit seiner herrlichen schlichten Melodie, die einem tagelang nicht aus dem Kopf gehen will, oder die in Mozarts Todesjahr 1791 komponierten 8 Variationen über „Ein Weib ist das herrlichste Ding“ (KV 613). Bei diesen Variationen zeigt Barenboim, dass er auch meisterhaft eine Wiederholung spielen kann, ohne dass sie wie eine solche klingt (gleich-doch-anders). Kurz: Eine wahre Referenzaufnahme, die zudem auf Grund ihres geringen Preises die Anschaffung lohnt!

Hier geht es zur Referenzaufnahme der Mozart-Sonaten mit Daniel Barenboim.

Mozart, Sonaten für Klavier: Einzelaufnahmen, die als Referenz gelten können

Um diesen Beitrag nicht zu sehr in die Länge zu ziehen, erfolgt hier nur eine Auflistung von Aufnahmen auf CD, die als Referenz der Mozart-Sonaten gelten können. Wer weitere Vorschläge hat, ist herzlich dazu aufgefordert, in den Kommentaren seine Meinung zu hinterlassen!

  • Fazil Say: KV 330, 331, 333 und Variationen „Ah, Vous Dirai-Je, Maman“ (KV 265): Eine gelungene Aufnahme aus dem Jahr 2002, die Fazil Say in seiner frühen Aufnahmephase zeigt. Lebhaft wie immer und bemüht, bei allen Idiosynkrasien doch stets ein Bewusstsein für Tradition und klare Linie zu behalten. Für junge Mozart-Enthusiasten ganz besonders zu empfehlen. Die Variationen hat Say in seinem festen Repertoire und spielt sie häufig bei Konzerten. Besonderes Highlight auf dieser Aufnahme ist ohne Zweifel (neben den Variationen) die Sonate in C-Dur (KV 330). Das changiert zwischen jugendlichem Übermut und großer musikalischer Reife … und dürfte damit sehr nah an dem sein, was Mozart im Sinn gehabt haben dürfte.
  • Mikhail Pletnev: KV 330, 331, 332 und 457: Der Russe stellt hier zweifelsfrei unter Beweis, was man seit seiner legendären Einspielung der Beethoven-Klavierkonzerte schon ahnte, dass ihm die Wiener Klassik ebenso liegt, wie die emotionsgeladene russische Klaviermusik des 19. und 20. Jahrhunderts. Besonders seine Aufnahme der F-Dur-Sonate (KV 332) ist sehr schön anzuhören. Zwar geht Pletnev dem ein oder anderen Mozart-Puristen mit seinen großzügigen Rubati vielleicht etwas zu sehr gegen den Strich, doch verliert er nie den musikalischen Bogen aus den Augen: Er bringt kleine Figuren ebenso zur Geltung wie die großangelegte Sonatenhauptsatzform. Dass sein Mozart dabei gelegentlich schon stark nach Schumann klingt, ist das Gegenteil von störend!
  • Hélène Grimaud: Resonances. Diese CD enthält neben Liszt (h-Moll Sonate), Berg (Klaviersonate) und Bartók (6 Rumänische Volkstänze) eine wundervolle, energische und doch gleichzeitig sehr unaufgeregte Aufnahme der a-Moll Sonate von Mozart (KV 310). Nachdem Grimaud die dramatische Eingangsfloskel mit einer leichten Verzögerung spielt, die klingt als sei ein Schauspieler noch nicht ganz in seiner Rolle, perlt der Rest des ersten Satzes vor sich hin – der Darsteller hat in seine Rolle gefunden und deklariert nun so, dass die Emotionen bis in die letzte Reihe des Theaters übergreifen. Für das Andante cantabile con espressione lässt Grimaud sich satte 10’32 Min. Zeit: Das hat Ruhe und Eleganz, wie sie Mozart gebührt. Der dritte Satz (Presto) ist wie das nervöse Auf und Ab eines Schiffes auf unruhiger See – wobei Grimaud gekonnt das aufgeregte Innenleben der Mannschaft zum Klingen bringt und nicht die banale Kontingenz der stürmischen See. So schön hat die a-Moll Sonate von Mozart noch nie geklungen.
  • Alfred Brendel: KV 533 & 282. Die Sonate KV 533 (494) hört man viel zu selten. Sie klingt dabei so wunderschön und gedankenverloren im ersten Satz, als hätte sich ein Pianist zum Improvisieren an sein Instrument gesetzt, ein paar unverbundene Intervalle, Wiederholung, dann eine aufsteigende Tonleiter, dann tauschen rechte und linke Hand die Plätze, und dann: die Kadenz zu Ende gebracht, fertig. Der dritte Satz (Rondeau allegro) bleibt diesem Eindruck treu, vergeistigt oder gedankenverloren – schwer zu sagen. Feststeht: Diese Sonate klingt nicht von dieser Welt her. Und auch die Es-Dur Sonate (282) beginnt ungewöhnlich – mit einem Adagio nämlich, das Brendel unendlich zart spielt; und dann der dritte Satz, so mozartisch wie nur möglich, verspielt und frei – auch das hat Brendel genau im Griff, kein Ton zu laut, keine Phrasierung zu überdeutlich, kein Tempo zu schnell oder langsam: Kurz – Referenzaufnahme.
  • Sviatoslav Richter: 282, 310, 545. Diese CD ist ein Livemitschnitt und enthält daher leider immer wieder mal Nebengeräusche aus dem Konzertsaal. Gleichwohl ist sie sehr zu empfehlen, besonders wegen ihrer KV 545, der Sonata facile. Diese spielt Richter zunächst wie ein braver Klavierschüler zum Schlag des Metronoms, um dann in der ersten Wiederholung plötzlich sehr fein und subtil mit Tempo, Dynamik und Phrasierung zu spielen, ganz so, als ob hier der Schüler diese klassische „Schul-Sonate“ endlich verstanden hätte. Das hat Witz – und ist damit sehr im Geiste Mozarts. Absolut empfehlenswert.
  • Glenn Gould: Mozart Piano Sonatas – Dies ist sogar eine Gesamtaufnahme aller Sonaten. Es gilt: Für Gould-Liebhaber ein Muss, Mozart-Liebhaber lassen besser die Finger davon, da Gould die Sonaten wirklich seziert; was am Ende davon übrig bleibt ist sehr viel Gould und sehr wenig Mozart. Interessant ist diese Aufnahme daher alle Male, als eine wirkliche Referenz kann diese Skurrilität hingegen nicht gelten.
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