Klassische Musik im 20. Jahrhundert: Gute Aufnahmen von Klaviermusik

Dieser Artikel ist der erste in einer Reihe von Artikeln, die sich in der nächsten Zeit mit dem Thema Neue Musik (20. und 21. Jahrhundert) beschäftigen werden. Sie werden, wie andere Artikel auf diesem Blog auch, vor allem Empfehlungen machen, welche Aufnahmen von Kompositionen des 20./21. Jahrhunderts als besondere Referenzen gelten. Gleichwohl, wird das Vorgehen hierbei ein wenig vom üblichen abweichen. Nicht selten nämlich existieren von Neuer Musik nur wenige Aufnahmen, oft nur eine einzige (meist ein Livemitschnitt der Uraufführung). Das macht das Vergleichen unmöglich und ebenfalls, die Empfehlung einer Referenzaufnahme. Die Artikel werden sich also zum Teil ganz allgemein mit Neuer Musik beschäftigen und Empfehlungen aussprechen, welche Komponisten besonders hörenswert und für den Einstieg in diese Musikepoche geeignet sind. Wann immer es um bekanntere Kompositionen des 20. Jahrhunderts geht, von denen mehrere Aufnahmen und Interpretationen existieren, versuchen wir, wie gewohnt, die eine Referenzaufnahme zu empfehlen. Im ersten Artikel dieser Serie geht es also ganz allgemein um drei Klavierwerke nach 1945, die wir besonders empfehlen möchten.
Dieser Artikel ist angeregt durch einen ähnlichen Artikel, der im heutigen Guardian erschienen ist: „The five myths about contemporary classical music“ von Tom Service, der auch den Blog „On Classical Music“ betreibt. Darin räumt Service mit 5 gängigen Vorurteilen gegenüber Neuer Musik auf: 1. Sie klingt nach quietschenden Türen; 2. Sie ist unzugänglich; 3. Man muss Musik studiert haben, um sie zu verstehen; 4. Sie hat heutigen Generationen nichts zu sagen; 5. Sie ist Teil eines alten Erbes nicht der Gegenwartskultur. Der Artikel ist insgesamt sehr empfehlenswert und enthält zudem auch einige schöne Hinweise auf Kompositionen des 20./21. Jahrhunderts, die hörenswert sind.

Klaviermusik nach 1945

In der Tat gibt es viele Klassik-Enthusiasten, die über eine unglaublich große Plattensammlung verfügen, ein Abo für die Philharmonie haben und selber ein Instrument spielen… für die jedoch musikalisch nach dem Tod von Puccini nichts mehr komponiert worden ist, dass der Rede wert ist (einige akzeptieren gerade noch die 2. Wiener Schule). Dabei hat die Musik keineswegs im frühen 20. Jahrhundert aufgehört, spannend zu sein. Noch hat sie sich vollständig in den Bereich der Pop-Musik verlagert. Hier also drei Klavierkompositionen aus der Zeit nach 1945, die als besonders wertvoll gelten können und auch in zahlreichen Einspielungen vorliegen, so dass es durchaus Sinn macht, eine Referenzaufnahme dieser Klavierwerke zu empfehlen.


 

Pierre Boulez, Klaviersonate Nr. 2 (1947/48)

Der französische Musiker Pierre Boulez wurde 1925 geboren und ist bis auf den heutigen Tag aktiv. Bekannt ist er einem breiteren Publikum als Dirigent, v.a. als Wagner-Dirigent. Seine 1980er-Einspielung des Ring des Nibelungen (Inszenierung: Patrice Chéreau) gilt bis heute als Meilenstein der Wagner-Interpretationen. Abseits seiner Karriere als Dirigent ist Boulez, v.a. in der Frühphase seiner musikalischen Karriere, auch als Komponist in Erscheinung getreten. Unter den zahlreichen, sehr vielseitigen Kompositionen gibt es auch 3 Klaviersonaten von Boulez. Die 2. Klaviersonate ist sicherlich ein repräsentatives Werk der Klaviermusik des 20. Jahrhunderts, v.a. der sog. seriellen Musik. Die Uraufführung der 2. Klaviersonate fand im Jahr 1950 statt; nur wenige Monate später folgten Aufführungen in den USA und schließlich der ganzen Welt. Mehrere Aufnahme der Sonate liegen auf CD vor, trotz der notorischen Unspielbarkeit des Werkes. Die Aufnahmen sind sehr vielfältig. Es existiert eine kostengünstige Aufnahme von Idil Biret, 1995 bei Naxos erschienen; es existiert eine Aufnahme des jungen, finnischen Pianisten Paavali Jumppanen (2005); und auch etablierte Star-Pianisten wie Maurizio Pollini (DGG, 2001) haben sich dieser Sonate angenommen. Auf YouTube kann man in diese wundervoll klare Komposition hineinhören.

John Cage: Sonatas and Interludes for Prepared Piano (1946-8)

Das wohl bekannteste Klavierstück von John Cage (1912-92) ist das Stück 4′33″, ein Stück, bei dem das Klavier nicht einen Ton von sich gibt: 4 Minuten und 33 Sekunden lang. Da dieser Blog sich jedoch mit Referenz-Aufnahmen beschäftigt und dieses Stück auf einer CD ihren Reiz verliert, richten wir den Blick lieber auf ein anderes Klavierwerk des US-amerikanischen Komponisten, die Sonatas and Interludes for Prepared Piano aus den Jahren 1946-8. Das Klavier wird bei diesen Sonaten nach bestimmten Vorgaben des Komponisten „präpariert“, das bedeutet, es werden Gegenstände auf die Saiten appliziert oder hineingeklemmt, die beim Anschlagen der Taste den Klang stark modifizieren; der eigentümliche „Klavier-Sound“ geht verloren zugunsten eines ganz eigenen und eigensinnigen Klangs, den man unbedingt einmal gehört haben muss. Das geht auch ohne Weiteres, da die Komposition in mehreren Aufnahmen vorliegt. Bei dem Label Wergo, das eines der führenden Musiklabels im Bereich Zeitgenössische Musik ist, liegt eine Aufnahme mit dem US-amerikanischen Pianisten Joshua Pierce (wergo, 1996) vor, die sicherlich als John Cage-Referenzaufnahme gelten kann.

Karlheinz Stockhausen: Klavierstücke I-IV (1952)

Der vor 5 Jahren verstorbene deutsche Komponist Karlheinz Stockhausen gilt zweifelsfrei als einer der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Die gesamte Unterhaltungsmusik heutiger Zeit verdankt seiner Arbeit mit elektronisch erzeugten Klängen sehr viel. Gegen Ende seines Lebens häuften sich in Stockhausens Leben jedoch die Skurrilitäten, von denen seine Aussagen über den 11. September als „Kunstwerk“ nur die Spitze des Eisbergs bildeten. Man sieht sich also mit der Frage konfrontiert, ob man die zeitweilig etwas fragwürdige Künstlerfigur von seiner großartigen Kunst abgelöst denken kann und möchte – oder eben auch nicht… Wie dem auch sei, Stockhausens frühen Klavierwerke Klavierstücke I-IV von 1952 sind reizvoll für jeden Musikliebhaber. Auf YouTube gibt es einige schöne Videos, die diese Klavierstücke inkl. Noten zeigen. Selbst wenn man kein Experte im Notenlesen ist, erkennt man auf einen Blick die stark variierende Dynamik; fast jede Note hat eine eigene dynamische Vorschrift, die innerhalb von jetzt auf gleich zwischen pp und ff variieren kann. Auch wechselt die Taktart mit fast jedem zweiten Takt. Kurz: Das ganze ist enorm facettenreich und benötigt in der Tat einiges an Zeit, bis man sich „hineingehört“ hat. Hat man es aber einmal geschafft, kann das Wiederhören der Klavierstücke I-IV (sowie der später komponierten Klavierstücke von Stockhausen) eine große Freude sein. Aufnahmen dieser Klavierstücke gibt es viele; doch auch hier möchte ich wieder die Empfehlung für das Label wergo abgeben. Darauf zu hören ist der Pianist Herbert Henck (wergo, 1996).

Bildnachweis: „Prepared Piano“ by Brandy Hollins (bhollins) via flickr.com. Lizenz: CC BY-ND 2.0.

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