Am 10. Oktober 2013 wäre Giuseppe Verdi 200 Jahre alt geworden. Deutschlandweit nehmen die Opernhäuser die zahlreichen Opern des italienischen Komponisten in ihre Spielpläne auf: Aida, La Traviata, Don Carlo, Nabucco, Rigoletto, Il trovatore, Un ballo in maschera, Otello und viele andere. Genau wie sein Zeitgenosse Richard Wagner (der ebenfalls seinen 200. Geburtstag in diesem Jahr feiert) ist Verdi vor allem durch seine Opernkompositionen bekannt. Jedoch zählt zu Verdis beliebtesten Werken eine Komposition, die keine Oper ist, sondern eine Messe. Genauer: eine Totenmesse. Die Messa da Requiem (1874). Ähnlich wie das Mozart-Requiem nimmt Verdis Totenmesse einen besonderen Stellenwert in seinem Werk ein und erfreut sich trotz der düsteren Musik großer Beliebtheit. Es existieren zahlreichen Aufnahmen von Verdis Requiem, teils von sehr unterschiedlicher Qualität. Wir stellen zwei Aufnahmen vor, die als Referenzaufnahme des Verdi-Requiems gelten – und feiern so ein wenig das Verdi-Jubiläum 2013 mit.Verdis Messa da Requiem ist nicht seine erste Totenmesse. Bereits 1868, im Todesjahr des großen italienischen Opernkomponisten Gioachino Rossini (1792-1868) hatte Verdi eine Messe komponiert, bzw. komponieren lassen. Denn Verdi wandte sich an die größten Komponisten seiner Zeit und bat diese, je einen Teil zu einer Gedenkmesse an Rossini beizusteuern. Die daraus resultierende Messa per Rossini, für die Verdi den Schlussteil komponierte, ist dabei eher von musikhistorischem Interesse. Die partizipierenden Komponisten sind, mit Ausnahme Verdis, heute allesamt in Vergessenheit geraten (Gaetano Gaspari, Raimondo Boucheron, Federico Ricci, Antonio Buzzolla, Pietro Platania, Antonio Bazzini, Carlo Pedrotti, Antonio Cagnoni, Alessandro Nini, Carlo Coccia, Lauro Rossi und Teodulo Mabellini). Häufig wird daher bei modernen Aufnahmen wie der von Riccardo Chailly bloß Verdis Beitrag zur Messa per Rossini eingespielt.
Wenige Jahre später, 1873, starb der bedeutendste italienische Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, Alessandro Manzoni (1785-1873; sein bekanntester Roman I Promessi Sposi (dt. Die Verlobten) ist bis heute ein vielgelesenes Meisterwerk der italienischen Literatur). Verdi beschloss, eine Totenmesse für Manzoni zu komponieren. Dabei griff er zum Teil auf seine fünf Jahre zurückliegenden Arbeiten am „Rossini-Requiem“ zurück und übernahm weite Teile des „Libera Me“ in seine neue Komposition: Die Gemeinsamkeiten beider Kompositionen sind selbst bei oberflächlichem Hören überdeutlich. Das legt den Schluss nahe, dass er seine frühe Arbeit am Rossini-Requiem in der Zwischenzeit (in der er unter anderem sein Meisterwerk Aida komponierte) immer gedanklich mit sich umhertrug. Die aus ästhetischen Gesichtspunkten erfolglose Kollaboration muss auch für Verdi unbefriedigend gewesen sein. Das Resultat war die große Totenmesse, die an Manzonis Todestag (22.5.1874) in Mailand uraufgeührt wurde. Die Noten sind wie immer kostenlos im IMSLP erhältlich.
Dass das Verdi-Requiem das Werk eines Opernkomponistes ist, merkt man bereits an der Orchestrierung und der für rein liturgische Zwecke sehr langen Aufführungsdauer von fast anderthalb Stunden. Nicht selten ist das Requiem von Verdi daher heute ebenso in Kirchen wie in Konzert- und Opernhäusern zu hören. Wer es sich zuhause anhören möchte, sollte eine der beiden folgenden Aufnahmen des Verdi-Requiems wählen, die zu den besten Aufnahmen dieser Messe gehören:
Verdi-Requiem Referenzaufnahme Nr. 1: Carlo Maria Giulini, 1964
Dies ist eine fast 50 Jahre alte Aufnahme und dennoch die ungeschlagen beste Einspielung von Verdis Requiem, die es gibt. Das liegt in erster Linie an den großartigen Sängerinnen und Sängern, die Carlo Maria Giulini (1914-2005) für diese Aufnahme gewinnen konnte: Elisabeth Schwarzkopf (1915-2006), Christa Ludwig (*1928), Nicolai Gedda (*1925) und Nikolaj Gjaurow (1929-2004). Es ist für Verdi-Aufnahmen in den 1960ern keine Selbstverständlichkeit gewesen, gänzlich ohne italienische Solistinnen und Solisten auszukommen – und vielleicht ist es das heute noch immer nicht. Was die deutsche Sopranistin, die deutsche Mezzo-Sopranistin, der schwedische Tenor und der bulgarische Bassist unter dem Dirigat des Italieniers Giulini leisten, verdeutlicht den romantischen Gedanken, dass Musik in der Lage ist, Nationengrenzen zu überschreiten. Besonders hervorzuheben sind bei dieser Aufnahme das Dies irae, das unglaublich klar akzentuiert ist. Der Chor leistet dabei Unerreichtes, denn der lateinische Text ist trotz der wilden Dramatik dieses Stückes einwandfrei zu verstehen. Das Lacrymosa, als direktes Gegenstück zum brachialen Dies irae zeigt die ganze Breite von Verdis Kompositionskunst. Hier wild und feurig, dort trauernd und melancholisch. Der Beginn mit den Streichern hat bei Giulini den Charakter einer Totenprozession, ohne zu schleppen, das Duett zwischen Ludwig und Gjaurow zu Beginn ist wirklich nicht von dieser Welt – und wenn der Chor einsetzt, begleitet von den aufsteigenden Halbton-Seufzern, ist man endgültig in einer jenseitigen Welt angelangt. So emotional mitreißend ist Musik nur in seltenen Momenten. Das rezitierend beginnende Libera Me am Schluss greift, wie gesagt, bereits das frühere Rossini-Requiem auf. Hier kann der Chor noch einmal so richtig glänzen, durch artikulierten Gesang und glasklare Aussprache. Und wenn kurz darauf das Verdi-Requiem zu Ende geht, möchte man gleich noch einmal von vorne beginnen. Eine wahre Freude diese Aufnahme, die in keiner Plattensammlung fehlen darf!
Hier geht es zur Verdi-Requiem Referenzaufnahme mit Giulini (1964).
Verdi-Requiem Referenzaufnahme Nr. 2: Herbert von Karajan, 1972
Karajan, Karajan, und immer wieder: Karajan. Ja, ohne Frage: Karajan hat in den 1960ern und 1970ern einige der wichtigsten Referenzaufnahmen in allen Bereichen hingelegt: Symphonien, Konzerte, Opern und auch: Messen. Diese Aufnahme Karajans aus dem Jahr 1972 ist eine solche Referenzaufnahme des Verdi-Requiems und auch sie sollte in keiner Sammlung von Musikliebhabern fehlen. Einige Kontinuität zur acht Jahre älteren Giulini-Aufnahme zeigt sich bei der Auswahl des Ensembles, denn auch hier singen wieder Nicolai Gjaurow und Christa Ludwig die Soloparts. Ergänzt werden sie vom italienischen Tenor Carlo Cossutta (1932-2000) und von der italienischen Sopranistin Mirella Freni (*1935). Karajan setzt also gezielt auf Solisten aus Verdis Heimatland Italien. Die Freni war eines von Karajans „Ziehkindern“, musikalisch herausragende Interpreten, die der Dirigent förderte und somit zu Stars machte. Freni und Gjaurow, die hier beide zu hören sind, sollten wenige Jahre später, 1977, sogar heiraten. Vielleicht ist es Einbildung, aber ein wenig von dieser innigen Harmonie zwischen den Ensemblemitgliedern lässt sich bereits auf dieser Aufnahme hören. Besonders das Quid sum miser hebt sich deutlich von Giulini ab, es ist weniger beschwingt und lebhaft als bei dem Italiener, mehr fließend und gleichmäßig dahinströmend. Das Agnus dei mit seinem liturgischen a capella Anfang ist ein weiterer Höhepunkt dieser Aufnahme. Die Nase vorn hat Karajan gegenüber Giulini ganz klar in Sachen Klangqualität. Das Remastering der DGG kann auch auf modernen Anlagen mühelos überzeugen, während bei Giulini (EMI) leider häufig (besonders bei den Höhen) viel vom Klang wegbricht. Für Audiophile ist die Karajan-Aufnahme also eindeutig zu empfehlen.
Hier geht es zur Verdi-Requiem Referenzaufnahme mit Karajan (1972).