Klavierfestival Young Euro Classic 2013, Rezension

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Im vergangenen Jahr berichteten wir bereits von dem überaus gelungenen Klavierfestival im Rahmen des Young Euro Classic-Festivals 2012 in Berlin, das wir jedem Klassikliebhaber nur wärmstens empfehlen können. Am 4. August 2013 gab es also eine Neuauflage des Nachwuchsfestivals. In fünf Konzerten durften junge Pianistinnen und Pianisten im Berliner Konzerthaus ihr ganzes Können unter Beweis stellen. Ein Konzertbericht:

1. Yedam Kim (Südkorea)

Den Auftakt zum Klavierfestival machte im gut gefüllten Kleinen Saal des Konzerthauses die südkoreanische Pianistin Yedam Kim mit einem schönen und ausgeglichenen Programm, das mit Beethovens Waldstein-Sonate (op. 53) begann, mit Chopins etwas weniger bekannten  Introduktion und Rondo op. 16 fortsetzte, das 19. Jahrhundert über Skrjabins Klaviersonate Nr. 9 („Schwarze Messe“) verließ, um dann mit Albéniz und Ravel im 20. Jahrhundert zu enden. Als Zugabe begab sich Kim noch einmal zurück ins 19. Jahrhundert, mit Chopins cis-Moll Walzer.

Mit diesem Programm bewies die Südkoreanerin ihr facettenreiches Können, denn ihr Beethoven war besonders in den lyrischen Passagen (etwa der Beginn des 3. Satzes) sehr überzeugend und in den virtuosen Passagen blieb ihr Beethoven immer ganz Beethoven. Ihre virtuose Energie entlud Kim dann im folgenden Chopin. Hier zeigte sie, dass sie technisches  Virtuosentum ebenso meistern kann wie musikalischen Sturm und Drang. Der Höhepunkt ihres Programms war jedoch unzweifelhaft ihr ganz berückender Skrjabin. Kim gelang es der wilden Schwarzen Messe mit ihren wüsten Trillern, Akkorden und aufblitzenden Ideen eine Gesamtstruktur zu verleihen, die das Werk auch solchen Hörern näherzubringen vermochte, die mit Skrjabin sonst nicht viel anzufangen wissen. Der Applaus nach dieser Sonate war entsprechend groß und begeistert. Aber noch stand Ravels „La Valse“ aus. Das Stück wird bedauerlicherweise viel zu selten auf dem Klavier aufgeführt (Ravel hatte es ursprünglich für Orchester komponiert), was v.a. an seiner fast unspielbaren Schwierigkeit liegt. Hier also ein echter Prüfstein selbst für geübte Virtuosen – und Kim bestand die Prüfung mit Auszeichnung. Ihr Ravel war virtuos ohne überbordend zu sein, zügellos ohne undiszipliniert zu sein, voluminös ohne die Melodie im Walzertakt aus den Augen zu verlieren. Eine sehr beeindruckende Leistung, für die Kim verständlicherweise tosenden Beifall  erhielt.

Auf YouTube existiert eine Videoaufzeichnung von Kims Ravel-Interpretation von einem anderen Konzert, die ich hier für alle Interessierten verlinke (Beginn bei 21:28):

2. Georgy Tchaidze (Russland)

Ein außergewöhnliches Programm führte der junge russische Pianist Georgy Tchaidze auf: Er eröffnete im Kleinen Saal mit Hindemiths Klaviersuite op. 26 (die nach ihrem Kompositionsjahr den Titel „1922“ trägt), machte dann mit den beiden Brahms-Rhapsodien einen kurzen Abstecher ins 19. Jahrhundert, bevor er das Konzert mit einer brillanten Interpretation von Schostakowitschs zweiter Klaviersonate beendete.

Als Tchaidze die Bühne betritt hat man sofort den Eindruck eines sehr ernsten jungen Mannes. Statt Frack trägt er einen schlichten Anzug, der aussieht, als wolle Tchaidze gleich ins Büro fahren. Eine kurze Verbeugung dann geht es auch sofort los und der junge Russe fegt mit Hindemiths Suite über die Tasten. Die Suite wird zu Unrecht selten gespielt. Sie ist lebhaft und jazzig (im „Marsch“ oder im „Ragtime“), nachdenklich (im „Shimmy“) oder verträumt („Nachtstück“). Tchaidzes Interpretation gibt alle diese verschiedenen, facettenhaften Emotionen gekonnt wieder. Sein anschließender Sprung zu Brahms ist groß, gelingt ihm aber hervorragend. Beide Rhapsodien sind jugendlich-frische Kompositionen eines Mitvierzigers, diese Spannung zwischen adoleszenter Verve und fortgeschrittener Lebenserfahrung bringt Tchaidze besonders durch seine ausdifferenzierte Dynamik gekonnt zum Klingen, ohne dabei ins schale chiaroscurohafte abzugleiten. Aber was Tchaidze am Ende des Programms zu bieten hat ist ohne Frage das Highlight seines Konzertes, die Sonate Nr. 2 h-Moll für Klavier solo op. 61 (1942) von Dmitri Schostakowitsch. Dieses fast 25-minütige Werk ist eine große Herausforderung an jeden Pianisten. Besonders der dritte Satz, der mit einem schier endlos langen fugenhaften Dux beginnt, um dann in eine Art Variationssatz überzugehen, aus dem das Thema mal mehr und mal weniger deutlich hervorblitzt. Tchaidze hat dieses lange und komplexe Stück Musik sehr konzentriert und mitreißend gespielt, ohne jeglichen pianistischen Bühnenzauber, sachlich und sehr reif. Von diesem Pianisten wird man sicherlich noch viel hören.

Von Georgy Tchaidze gibt es eine CD-Aufnahme mit Stücken von Medtner.

3. Tamar Beraia (Georgien)

Das dritte Konzert sollte das letzte Konzert des Tages im Kleinen Saal des Konzerthauses sein. Der war gut gefüllt, denn das Programm der georgischen Pianistin Tamar Beraia las sich ebenso anspruchsvoll wie vielversprechend: Es wurde gerahmt von zwei Virtuosenstücken allererster Güte, Busonis Bearbeitung der Bach-Chaconne und Liszts Mephistowalzer Nr. 1. Dazwischen dann mit vier Stücken von Luciano Berio aus den 1960er und 1980er Jahren Musik des 20. Jahrhunderts, die man nur selten auf der Bühne hört. Die vier Stücke widmen sich jeweils einem der vier Elemente. Beraia fügte diesen Eckpfeilern Berios jeweils thematisch passende Stücke hinzu, wie etwa die „Feux d’artifice“ von Debussy, oder dessen hochvirtuose „Reflets dans l’eau“ oder das nicht minder virtuose „Jeux d’eau“ von Ravel – Stücke die zusammen die Gruppe „Wasser“ formten. Hinzu kam noch de Fallas „Feuertanz“, der sich zum Feuer gesellte. Diese Stücke bot Beraia in einer großen Folge, währenddessen es keinen Applaus gab, um die Gesamtkonzeption nicht zu unterbrechen. Im Anschluss an den hochvirtuosen Liszt-Walzer gab Beraia als Zugabe noch einen Albeniz und Liszts Paganini-Etüde „La Campanella“.

Das Programm war also ehrgeizig. Und, um es gleich vorweg zu sagen, wohl ein wenig zu ehrgeizig. Denn Beraia gelang es nicht immer, die verschiedenen Stücke zu einem sinnvollen Ganzen zu formen. Was aber eher störte waren ihre teilweise sehr exzentrischen Tempi. So spielte sie Liszts Mephistowalzer, als solches schon ein herausforderndes Stück, in einem überambitioniert schnellen Tempo. Das hatte nicht nur zur Folge, dass Beraia häufiger danebengriff, sondern auch, dass ihr die vielen lyrischen Passagen entgingen, in denen Mephistopheles nicht brutal-dämonisch sondern lockend-listig um die Seelen der Menschen buhlt, sie umgarnt und verführt. Ihr Mephisto war ein wilder, vulgärer, walzender Teufel, dem man eher aus Angst nachgibt, als aufgrund seiner Einflüsterungen. Ähnliches lässt sich auch für die eröffnende Bach-Chaconne anmerken. Viele Passagen wirkten überartikuliert, ein Spiel das schon beim Hören Muskelkater verursacht; und dann, im Schlussteil des Stückes in einer technisch leichteren Passage, in denen Busoni die Musik über Akkorde aufbaut, um sie dann in den letzten Takten virtuos zu entladen, ausgerechnet in dieser vergleichsweise leichten Stelle verliert Beraia den Faden, kommt hörbar raus und überspringt eine Reihe von Akkorden und macht mit den Schlusstakten weiter. Der Schreck saß ihr dann hörbar in den Gliedern, da sie den letzten Sekunden des Stückes nicht mehr diese selbstischere Klangkraft geben konnte, die ihr markiertes Spiel zu Beginn hatte. Obwohl technisch auf hohem Niveau, und obwohl mit einem konzeptionell interessanten Programm, konnte es Beraia nicht gelangen, das Publikum zu erobern. Der Applaus war dann auch etwas verhalten und manch einer hätte sich möglicherweise eine ruhigere, entspanntere Zugabe gewünscht, als ausgerechnet das Bravourstück „La Campanella“…

Hier ist ein Video, dass die Pianistin mit Albeniz zeigt, von dem sie im Konzerthaus eine Zugabe spielte:

4. Joseph Moog (Deutschland)

Der Rest des Abends führte die Zuschauer in den Großen Saal des Konzerthauses, wo der deutsche Pianist Joseph Moog vor gut gefüllten Rängen ein Programm spielte, dass mit einem heiteren Haydn begann, dann aber sogleich in maximales Virtuosentum überging: Fünf mal Liszt hintereinander, und zwar vorwiegend Liszts große Opernparaphrasen mit Schwerpunkt Verdi. Abschließend brachte Moog Debussys selten aufgeführte Trois images oubliées zu Gehör und eine von ihm selbst arrangierte Fantasie über ungarische Melodien nach Anton Rubinstein. Moog beendete das Konzert mit einer Zugabe, die den mit Haydn eröffneten Rahmen zu Ende brachte: Mozarts d-Moll Fantasie.

Das Konzert stellte einen Kontrast zum vorhergegangenen dar. Obwohl Moogs Programm mit fünf Mal Liszt ähnlich virtuos war, war sein Spiel beherrschter und disziplinierter. Davon zeugt auch die kuriose Anekdote, dass Moogs Klavierhocker hörbar quietschte, sobald er sich auf diesem auch nur leicht bewegte. Gleichwohl war das unangenehme Quietschen im gesamten Konzert vielleicht nur ein halbes Dutzend Mal zu hören, da Moogs gesamte Bewegung in den Händen stattfand und er keine gefühlsbetonenden Gesten oder Bewegungen sehen ließ. Sein Haydn war schön und verspielt, litt aber leider unter der etwas zu stark hallenden Akustik im Großen Saal. Die Wiener Klassik gehört dann doch eindeutig in den Kammermusiksaal. Im großen Konzertsaal bestens beheimatet waren hingegen die folgenden Liszt-Opernparaphrasen über Themen von Verdi. Wer die Stücke kennt, weiß, dass selbst professionelle Pianisten bei diesen Werken hin und wieder mal danebengreifen, falsche Töne spielen oder die Melodie im Brausen der auf- und absteigenden Akkorde etwas verlieren. Moog war nicht nur absolut fehlerfrei in seinem Spiel, er verlor auch nie die Melodie aus dem Auge, selbst dort nicht, wo Liszt sie gekonnt in der Zweitstimme versteckt. Zu bemängeln war lediglich (und das ist schon Jammer auf höchstem Niveau), dass es in der Summe dann doch zu viel Opern-Liszt war. Bei allen Unterschieden dieser Stücke sind große Teile ihrer Verzierungen und Spielereien doch sehr identisch. Hier wäre evtl. etwas mehr Abwechslung im Programm wünschenswert gewesen, auch wenn natürlich im Verdi-Jahr dem Jubilar Tribut gezollt werden sollte (warum dann aber nicht auch: Wagner?) Die Abwechslung kam am Ende doch noch. Nicht mit Rubinstein (der war musikalisch von Liszt kaum zu unterscheiden), sondern mit Debussys drei Images oubliées (http://imslp.org/wiki/Images_oubli%C3%A9es_%28Debussy,_Claude%29, dem träumerisch-sanften „Lent (mélancolique et doux)“, dem bekannten (weil später zur Sarabande umgearbeiteten) „Souvenir du Louvre“ und dem verspielten abschließenden „Quelques aspects de Nous n’irons plus au bois parce qu’il fait un temps insupportable“ . Die Abwechslung war eine willkommene und erleichterte das Virtuosengebeutelte Publikum sehr, zumal Moogs Spiel hier schöne Facetten bewies, die er in den Liszt-Fantasien nicht hatte zeigen können. Besonderen Anklang fand aber vor allem seine letzte Zugabe, Mozarts d-Moll Fantasie mit ihrer berückend schönen Melodie und den unaufgeregten Figuren. Auch hier wäre der Kammermusiksaal sicherlich die bessere Umgebung gewesen. Dennoch eine äußerst gelungene Zugabe, musikalisch schön und hinreißend interpretiert.

Von Joseph Moog liegen schon jetzt mehrere CD-Aufnahmen vor: Scarlatti Illuminated (Sonaten), ein Franz Liszt-Recital, das Album Metamorphosen (mit Werken von Liszt, Godowsky, Busoni und Friedman), eine Beethoven-Aufnahme (Waldstein-Sonate, 2. Klavierkonzert), die zudem auch eine Eigenkomposition von Moog enthält, das Album Divergences (mit Werken von Skrjabin, Reger, Jongen), sowie eine Aufnahme mit Rachmaninoffs Klavierkonzert Nr.3 und Rubinsteins Klavierkonzert Nr. 4.

5. Nikolay Khozyainov (Russland)

Das letzte Konzert des Abends fand im ausverkauften Großen Saal des Konzerthauses statt. Der jüngste Pianist des Abends gab ein musikalisch-virtuoses Programm zum Besen: Ravels drei Stücke aus „Gaspard de la nuit“, Chopins Barcarolle und zum großen Finale Liszts h-Moll Sonate. Als Zugaben spielte Khozyainov Liszts fast 15-minütige „Fantasie über Themen aus den Opern von Mozart ‚Die Hochzeit des Figaro‘ und ‚Don Giovanni'“ und Debussys „Clair de Lune“, bevor er unter tosendem Applaus die Bühne verließ.

Der junge Russe (geboren 1992) schaffte es 2010 bereits als jüngster Teilnehmer ins Finale des renommierten Chopin-Wettbewerbs. An diesem Abend konnte Khozyainov zeigen, weshalb. Denn sein Spiel ist so reif, so differenziert und v.a. so musikalisch, dass man gerne noch mehr von ihm gehört hätte. Nicht, dass sein anspruchsvolles Programm nicht genug gewesen wäre. Im Gegenteil. Allein die h-Moll Sonate stellt viele Pianisten vor unlösbare Probleme… Zunächst eröffnete Khozyainov jedoch mit Ravel. Seine Ondine schwamm in sauberem und glasklarem Wasser, nicht in trüben Teichen wie bei vielen anderen Pianisten, die vom Legatopedal nicht mehr runterzukommen scheinen, wenn sie Ravel spielen. Der Höhepunkt des Ravels war aber das zweite Stück, „Le Gibet“ („Der Galgen“). Das fast fünfminütige Stück besteht aus einer durchgehenden Totenglocke in der rechten Hand und düsteren Akkorden in der linken. Was schnell langweilig werden kann, war bei Khozyainov Spannung pur. Die allgemeine Unruhe im Publikum war nach den ersten Takten verflogen und einer atemlosen Spannung gewichen. Khozyainov hatte das Publikum fest im Griff. Der Beifall am Ende hatte etwas Karthatisches, man war froh, von dieser Reise zum grausigen Galgen wieder in den Großen Saal des Berliner Konzerthauses zurückgekehrt zu sein. Zur weiteren Entspannung spielte der junge Pianist nun die Barcarole von Chopin in getragenem Tempo und großzügigen (aber nicht exzentrischen) Rubati. Sein großes Ass im Ärmel spielte er zum Schluss, die h-Moll Sonate von Liszt. Wie oft hat man dieses Stück schon runtergebrettert gehört, pompös und jahrmarktschreierisch. Doch Khozyainov zerlegte die Sonate in ihre Einzelteile, klare Melodien, saubere Linien, präzises nonlegato wo erforderlich und nur hin und wieder ein überbordendes Dreifach-Forte. Khozyainovs Liszt muss den Vergleich mit den ebenfalls sehr gelungenen Aufnahmen der h-Moll Sonate mit Mikhail Pletnev oder Fazil Say auf keinen Fall scheuen. Eine großartige Interpretation eines ganz großen Werkes aus dem Kanon der Klavierliteratur: Der Applaus war begeistert und mit zahlreichen „Bravo“-Rufen gespickt. Chapeau! Ein Pianist, von dem man unzweifelhaft noch viel hören wird.

Es existiert eine Aufnahme von Khozyainov mit Klavierkompositionen von Liszt und Chopin.

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