Der italienische Komponist Claudio Monteverdi (1567-1643) ist vor allem für seine Madrigale und seine Opern berühmt. Von den rund 18 Opern, die er komponierte sind bedauerlicherweise nur drei erhalten: Orpheus und Eurydike (L’Orfeo; SV 318; 1607), Die Heimkehr des Odysseus (Il ritorno d’Ulisse in patria; SV 325; 1641) und Die Krönung der Poppea (L’incoronazione di Poppea; SV 308; 1642). Darüberhinaus existiert noch die Lamteno-Arie aus der ansonsten verschollenen Oper L’Arianna (dt.: Ariadne; SV 291; 1608). So groß war der Erfolg von Monteverdis Opern zu seinen Lebzeiten, dass er bis heute oftmals als „Erfinder“ der Gattung Oper gilt, wenngleich die Oper im heutigen Sinne auf die sog. Florentiner Camerata zurückgeht, dessen Mitglied Jacopo Peri (1561-1633) sicherlich am ehesten als „Erfinder“ der Oper gelten kann. Wie dem auch sei, der größte Opernstar seiner Zeit war Monteverdi gewiss und bis heute sind seine drei Opern fester Bestandteil auf den Bühnen der Welt. So inszeniert beispielsweise in der aktuellen Spielzeit 2012/13 die Komische Oper Berlin sämtliche drei Opern von Monteverdi als sog. „Monteverdi-Trilogie“ mit dem Slogan: „3 Opern. 12 Stunden. 1 Spektakel.“ Die Orpheus-Oper von Monteverdi ist also nicht nur die erste Oper von Monteverdi selbst, sie gilt gemeinhin überhaupt als erste Oper. Bestehend aus 5 Akten, denen ein Prolog vorangestellt ist, hat sie eine Spieldauer von ungefähr 2 Stunden. Wir stellen die Oper im folgenden kurz vor und nennen wichtige Referenzaufnahmen.
Monteverdi, Orpheus und Eurydike: Inhaltsangabe
Als Vorlage für die Oper dient natürlich der antike Mythos des Orpheus, der mit seinem Gesang Steine zum Weinen bringen und wilde Tiere bezähmen konnte. Er war verheiratet mit der Nymphe Eurydike. Als der Halbgott Aristaios Orpheus besuchte, begehrte er Eurydike so sehr, dass er versuchte, sie zu vergewaltigen. Sie floh vor ihm und fand dabei den Tod. Orpheus entschloss sich, in die Unterwelt hinabzusteigen und dort nach Eurydike zu suchen. Mit seiner Musik betörte er sogar den strengen Gott Hades so sehr, dass dieser sich bereit erklärte, Eurydike dem Sänger zurückzugeben. Doch stellte Hades die Bedingung, dass Orpheus beim Aufstieg aus der Unterwelt vorangehen solle und sich unter keinen Umständen zu Eurydike umdrehen dürfe. Unterwegs konnte Orpheus die Schritte von Eurydike nicht mehr hören und drehte sich nach ihr um, so dass ihre Seele für immer für ihn verloren war. In manchen Versionen des Mythos war Orpheus Schmerz über den Verlust der geliebten Frau so groß, dass er sich zum Frauenfeind entwickelte und fortan der Päderastie frönte. Die Mänaden (wörtlich: Die Rasenden), also weibliche Begleiter der Dionysos-Festzüge, sollen ihn zerrissen und seinen Kopf ins Meer geworfen haben. Der Kopf des Orpheus wurde an der Insel Lesbos an Land gespült, wo er so lange weitersang, bis der Gott Apoll ihm befahl, zu schweigen.
Bei Monteverdi (nach dem Libretto von Alessandro Striggio) ist die Handlung leicht variiert. Eurydike kommt nicht durch die Verfolgung des Aristaios zu Tode, sondern stirbt beim Blumenpflücken an einem Schlangenbiss. Auch muss Orpheus auf seinem Weg in die Unterwelt erst an Charon, dem Fährmann vorbei. Auch gibt Hades (hier: Pluto) die Seele Eurydikes nicht deshalb frei, weil Orpheus ihn mit seiner Musik betört hat, sondern weil Plutos Gattin Proserpina (gr.: Persephone) ihn darum bittet. Er willigt ein unter der Bedingung, dass, wenn Eurydike in die Oberwelt aufsteige, sie, Proserpina, ewig bei ihm in der Unterwelt bleiben müsse. Nach dem Verlust Eurydikes unterhält sich der todtraurige Orpheus in Monteverdis Oper mit der Nymphe Echo. Auch wird er nicht zerrissen, sondern von seinem Vater Apoll in den Himmel gehoben; zwar, so sagt Apoll, bliebe ihm Eurydike auf ewig verloren, doch werde Orpheus neue Freude im Himmel finden.
Monteverdi, Orpheus und Eurydike: Referenzaufnahme Nr. 1: Nikolaus Harnoncourt, 1969
Virginal, Gambe, Laute oder Zink, wer kennt schon heute noch diese Instrumente? Doch für Monteverdi waren diese barocken Musikinstrumente noch ganz gewöhnlicher Alltag. Es ist die große Leistung dieser Monteverdi-Referenzaufnahme, dass all diese historischen Instrumente wieder für eine Orpheus-Aufnahme erklingen. Harnoncourt ist ohne Zweifel einer der ganz großen Vorreiter der sog. historischen Aufführungspraxis. Dem hervorragenden Orchester gesellt sich ein erstklassiges Sänger-Ensemble hinzu: Lajos Kozma singt die Titelrolle, Rotraud Hansmann gibt seine Eurydike; in der Unterwelt singen Eiko Ktatnosaka die Proserpina und Jacques Villisech den Heren der Unterwelt: Hades/Pluto. Die unzähligen Chorpartien, die auf einigen Aufnahmen die Schwachstelle ist, ist hier eine wahre Stärke: Die Capella antiqua München ist ein unglaublich präziser und überzeugender Chor. Hervorzuheben ist natürlich auch noch die unvergleichliche Cathy Berberian, die auf dieser Aufnahme die allegorische Speranza singt, die Hoffnung. Kurz: Diese Aufnahme ist nicht nur ein Meilenstein der Monteverdi-Diskographie, sondern der Opern-Einspielungen überhaupt, eine wahre Referenzaufnahme, die rundum perfekt ist und damit in jedes Plattenregal gehört.
Hier geht es zur Referenzaufnahme von Monteverdis Orpheus und Eurydike mit Harnoncourt.
Monteverdi, Orpheus und Eurydike: Referenzaufnahme Nr. 2: Emmanuelle Haïm, 2003
Emmanuelle Haïms Einspielung von Monteverdis Orpheus-Oper ist noch keine 10 Jahre alt und doch schon ein festes Stück Musikgeschichte. Das verdankt die Aufnahme nicht nur dem erfahrenen Dirigat der französischen Barockmusik-Expertin, sondern auch dem durch und durch erstklassigen Ensemble, das sich wie ein Who-is-Who der derzeitigen Gesangsszene liest: Ian Bostridge singt den Orfeo, an seiner Seite gibt Patrizia Ciofi die Euridice; Natalie Dessay, sozusagen die Haus- und Hofsängerin von Emmanuelle Haïm, singt La Musica, und Véronique Gens und Lorenzo Regazzo geben die Herrscher der Unterwelt Proserpina und Plutone. Emmanuelle Haïm selbst dirigiert nicht nur Le Concert d’Astrée, sondern spielt auch das Cembalo und die Orgel – schließlich ist sie ausgebildete Cembalistin und Organistin. Besonders die differenzierte Dynamik und das insgesamt doch recht rasche Tempo machen die Aufnahme zu einer modernen, zeitgemäßen Interpretation von Monteverdis Oper. Zusätzlich ist diese CD zu empfehlen, weil das Booklet wirklich umfassende Informationen zur Oper und den Musikern, sowie das vollständige Libretto enthält. All das zusammengenommen ist um Emmanuelle Haïms Aufnahme von Monteverdis L’Orfeo kein Herumkommen: Sie gehört in jedes gut sortierte Musikregal und ist für Monteverdi-Liebhaber eindeutig Pflicht. Ebenfalls eine großartige Referenzaufnahme.
Hier geht es zur Referenzaufnahme von Monteverdis L’Orfeo mit Emmanuelle Haïm.