Beethoven, Klaviersonaten: Referenz

Im letzten Herbst hatten wir viel über Referenzaufnahmen von Beethovens Sinfonien gesprochen, heute soll es um die Klaviersonaten gehen. Nicht wenige Klassikliebhaber aus meinem persönlichen Bekanntenkreis haben mir gegenüber zugegeben, dass ihre Liebe zur klassischen Musik mit ein oder zwei Beethoven-Klaviersonaten begonnen hat; nicht selten die Sonaten mit Namen, wie die „Pathétique“, die „Mondschein-Sonate“, die „Appassionata“ oder „Der Sturm“. Nach einer solchen Erstbegegnung mit einzelnen Beethoven-Sonaten folgte meist die Neugier auf die kompletten 32 Klaviersonaten, die Beethoven komponiert hat. Da Gesamtaufnahmen aller 32 Sonaten in der Regel nicht unter 30,00 EUR zu haben sind (einige sogar bedeutend teurer) stellt sich schnell die Frage (zumal für den Klassik-Neuling): Welche Gesamtaufnahme von Beethovens Klaviersonaten ist die Referenz-Aufnahme? Die Aufnahme also, die in keinem CD-Regal fehlen darf? Nun, wie mit allen Referenzaufnahmen ist das auch bei Beethovens Klaviersonaten ein Stück weit eine Glaubensfrage. Dennoch haben sich über die Jahrzehnte bestimmte Aufnahmen als besonders gelungen und als besonders empfehlenswert erwiesen. Wir stellen zwei Gesamtaufnahmen der Klaviersonaten von Beethoven vor, die als Referenz gelten können und ergänzen diese noch mit einer kurzen Liste von hörenswerten Einzelaufnahmen.

Beethoven, Klaviersonaten: Referenz Nr. 1: Friedrich Gulda, 1968-72


Friedrich Gulda (1930-2000) kann mit Fug und Recht als einer der vielseitigsten Pianisten des 20. Jahrhunderts gelten. Er spielte Bach, Beethoven, Chopin, Debussy… aber auch Jazz und Pop sowie eigene Kompositionen. Manche seiner Aufnahmen sind eigenartig zurückgenommen und nach innen gekehrt (etwa seine Aufnahme des Wohltemperierten Klaviers); andere Aufnahmen, wie etwa die hier empfohlene Beethoven-Aufnahme, sind ungestüm, wild, vorwärtsdrängend, rastlos und teilweise sogar aggressiv. Dennoch verlor sich Gulda nie in willkürlicher Exzentrik, sondern durchdrang das Werk stets auch intellektuell und angemessen, wie auch Joachim Kaiser in seiner berühmten Monographie Beethovens 32 Klaviersonaten und ihre Interpreten schreibt: „Zurückhaltend im Ausdruck, dabei motorisch drängend. Seine Interpretation hat etwas ungemein Stilbewusstes, Abgezirkeltes, ja Akademisches.“ (S. 43) Den Ruf des Exzentrikers erarbeitete sich Gulda eher durch seine berüchtigten Auftritte, in denen er häufig den verknöcherten Musikbetrieb anprangerte und nicht selten erst durch nervenaufreibende Klangcollagen das Abonnentenpublikum aus dem Saal vertrieb, bevor er vor kleinerem Publikum das tatsächliche Programm spielte. Auch als Lehrer war Gulda aktiv und unterrichtete unter anderem so berühmte Pianisten wie Martha Argerich. Die Aufnahme der Beethoven-Klaviersonaten mit Gulda ist daher für alle Klassikliebhaber ein absolutes Muss und ganz sicher eine wichtige Referenzaufnahme. Die frühen Aufnahmen liegen inzwischen als günstige, digital überarbeitete CDs vor, so dass auch das Klangvergnügen dabei nicht auf der Strecke bleibt. Der, wie gesagt, kleine Preis (von derzeit 23,99€) macht sie für Einsteiger besonders empfehlenswert; zusätzlich enthält die CD-Box noch die 5 Klavierkonzerte von Beethoven. Kurzum: Absolute Kaufempfehlung!

Hier geht es zur Referenzaufnahme der Beethoven-Sonaten mit Friedrich Gulda.


 

Beethoven, Klaviersonaten: Referenz Nr. 2: Emil Gilels


Auf Platz 2 nun der russische Pianist Emil Gilels (1916-85). Seine Aufnahme ist klanglich brilliant, sie hat ein leichtes Echo, als ob sie in einem sehr großen leeren Saal oder in einer kleinen Kirche aufgenommen worden wäre. Das verleiht besonders den langsamen Sätzen eine Nachdenklichkeit, die sonst nur selten zu finden ist. Das Andante con moto der „Appassionata“ zum Beispiel gleitet mit einer Gemütsruhe dahin, die man sonst vergeblich auf Aufnahmen der Sonaten sucht; ebenso das Adagio sostenuto der op. 27 Nr. 2, der sog. „Mondschein-Sonate“. Das sind absolute Highlights bei Gilels. In den schnellen Sätzen bewahrt er eine kühle Ruhe, die fern ist von jugendlichem Virtuosenleichtsinn. Im Vordergrund steht für Gilels der klare Ton: die Tonleitern perlen und repitierende Töne sind deutlich voneinander zu unterscheiden. Die Dynamik ist differenziert, ohne exzentrisch zu sein (wie etwa bei Fazil Say oder Glenn Gould); die Tempi sind insgesamt angemessen, gelegentlich vielleicht etwas langsamer als bei „Durchschnittstempi“. Seine Aufnahme enthält zudem noch die Eroica-Variationen op. 35, sowie zwei frühe Sonaten aus den WoO (Werke ohne Opuszahl): die Es-Dur und f-Moll-Sonaten, die beide sehr schön und ganz im Stil der frühen Wiener Klassik sind. Dafür fehlen leider die erste und die letzte Sonate der 32 großen Klaviersonaten, also op. 2 Nr. 1 und op. 111 – es ist also eigentlich nur eine „unechte“ GA der Klaviersonaten von Beethoven. Dennoch (besonders auf Grund der Ergänzungen) ist sie empfehlenswert in jeder Hinsicht und sollte daher in jedes Plattenregal gehören. Die DGG hat zudem klanglich einiges nachgebessert, so dass auch audiophile Ohren auf ihre Kosten kommen. „Kosten“ hingegen ist der einzige Nachteil bei dieser Referenzaufnahme der Klaviersonaten, sie kostet derzeit 54,99€ und ist damit nicht gerade günstig. Eine Investition ist es trotzdem, da die insgesamt 9 CDs Hörgenuss für viele Jahre bieten.

Hier geht es zur Referenzaufnahme der Beethoven-Sonaten mit Emil Gilels.

Bemerkenswerte Einzelaufnahmen (Liste)

  • Pletnev: op. 27,2; op. 53; op. 57: Brilliant, klar und treffsicher. Leider nur drei Sonaten von Pletnev gespielt.
  • Perahia: op. 2 (Nr. 1-3): Eine wirklich schöne Aufnahme der drei ersten Klaviersonaten op. 2 Nr. 1-3, die man nicht so häufig auf einer Einzelnaufnahme findet. Klanglich und musikalisch wirklich hervorragend.
  • Say: op. 31,2; op. 53; op. 57: Kontrovers wie immer. Say schafft es auch dieses Mal, gegen die Hörgewohnheiten anzuspielen. Das gefällt nicht jedem, aber jeder wird dabei neue Aspekte der Klaviersonaten entdecken, die vorher versteckt waren.
  • Gould: op. 109; op. 110; op. 111: Wenn wir schon beim Thema „kontroverse Interpretationen“ sind, darf Gould natürlich nicht fehlen. Auch hier: gefällt nicht jedem, für echte Liebhaber aber unverzichtbar… und für Gould-Enthusiasten sowieso!
  • Schnabel: op. 90; op. 101; op. 106: Spätere Sonaten in einer wirklich schönen Aufnahme (1932-5) von Arthur Schnabel. Es ist faszinierend, dass es diese Aufnahmen nach 80 Jahren immer noch begeistern können. Wild, ungestüm, klanglich faszinierend… und glücklicherweise für sehr kleines Geld zu haben. Ein Muss!

Ansonsten sind hier natürlich noch zu nennen: Kempff (mit wundervoller GA), Arrau (ebenfalls als GA erhältlich), Rubinstein (einzelne Sonaten), Schiff und Buchbinder (beides nicht wirklich unser Geschmack, aber teilweise trotzdem schöne Einzelaufnahmen), Brendel (späte und frühe Aufnahmen unterscheiden sich hier recht stark, so dass es sich lohnt, reinzuhören), Ashkenazy (der Klang der Aufnahmen ist sehr trocken, das ist nicht jedermanns Sache), Richter (wie immer wundervoll, v.a. seine Appassionate-Aufnahme) und Pollini (makellos und schön, v.a. die späten Sonaten).

Quellennachweis: Eigenhändig erstellte Collage aus zwei Bildern:

1. „An old piano“, photo by Mourner (Vladimir Agafonkin) on Flickr (Lizenz: CC BY 2.0)

2. „Ludwig van Beethoven“, photo by mansionwb (Cesar Blanco) on Flickr (Lizenz: CC BY 2.0)

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